Segeln: „Das Mittelmeer hat noch schöne Buchten ohne Massentourismus“ - WELT (2023)

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Seit zwei Jahren segelt Marc Bielefeld mit seiner Freundin auf einer Ketsch vom Typ Whitby 42 durch das westliche Mittelmeer, von Barcelona zu den Balearen, weiter nach Korsika, Sardinien, Sizilien bis an die tunesische Küste. Als Taucher und Autor von Segel-Büchern geht der 57-Jährige den Destinationen dabei buchstäblich auf den Grund, in seinem neuesten Buch beschäftigt er sich mit Langzeitsegeln im Mittelmeer.

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WELT: Die Deutschen kennen neben dem Ukraine-Krieg derzeit nur ein Thema: Inflation. Wie schmerzhaft ist die Preisspirale für Segler im Mittelmeer?

Marc Bielefeld: Wir sind gerade auf Sardinien; in den Häfen und kleinen Geschäften ist die Welt in dieser Hinsicht noch halbwegs in Ordnung. Massive Preissprünge haben wir hier noch nicht erlebt. In den Bars, wo ich meinen Wein trinke, kostet das Glas vier Euro, der Cappuccino 1,50. Aber man muss wissen, wo man hingeht. Auch in den Supermärkten auf Sardinien sind die Preise nicht so extrem gestiegen. Aber viel brauchen wir bei unserem Lebensstil ohnehin nicht.

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WELT: Sind Sie denn auf Ihrem Boot autark?

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Bielefeld: Weitgehend. Wenn wir nicht im Hafen liegen, sondern in einer Bucht ankern, reicht der Strom aus unserer 200-Watt-Solartasche für Kühlbox, Handys, Computer, Kameras. Die beiden 12-Volt-Batterien sind immer voll, dafür muss nicht mal ständig die Sonne ballern.

Ich kenne einige Segler, die gestalten ihr Bootsdasein noch einmal deutlich autarker. Sie haben neben Solarpanelen kleine Windräder, die die Batterien speisen. Immer mehr haben inzwischen auch eine Entsalzungsanlage an Bord, denn erst, wenn man Meerwasser in Trinkwasser umwandeln kann, ist man nahezu komplett unabhängig.

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WELT: Um sorgenfrei um die Welt zu segeln?

Bielefeld: Auch, aber nicht nur. Unter Seglern gab es schon immer einen Spruch, der in diesen zerriebenen Zeiten noch mal an Gewicht gewonnen hat: „Wenn alle Stricke reißen, nehmen wir das Boot und hauen ab.“ Ich glaube, dass dies bei einigen Seglern längst nicht mehr nur ein theoretischer Gedanke ist.

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WELT: Gilt das für Sie auch?

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Bielefeld: Nein, soweit sind meine Freundin und ich noch nicht. Wir haben 400 bis 500 Liter Wasser in den Tanks, das reicht notfalls vier Wochen zum Spülen, Kochen, Trinken. Aber Silke backt zum Beispiel eigenes Brot an Bord und macht Joghurt. Das ist köstlich und senkt die eigene Konsumkurve weiter nach unten.

WELT: Wie viel Geld brauchen Sie denn zum Leben?

Bielefeld: Als Liveaboards, wie Dauersegler in der Szene genannt werden, brauchen wir zwei wenig. Es ist vor allem das Boot, das kostet. Lacke, Ersatzteile, mal ein neues Seeventil. Aber wenn nichts Extravagantes hinzukommt, liegen die Kosten bei einer 13-Meter-Yacht wie unserer nicht höher als bei einem Wohnmobil. Und: Die Spritkosten sind sehr gering.

WELT: Gibt es viele Liveaboards auf dem Mittelmeer?

Bielefeld: Auf dem Mittelmeer dürften es inzwischen Tausende Segler aus vielen Nationen sein, die mit ihren Booten unterwegs sind – und darauf leben. Für ein Jahr. Für zwei, drei. Oder auch unbefristet. Viele liegen in günstigen Häfen, nutzen das Boot als Tinyhouse mit Mast.

WELT: Sind Aussteiger auf dem Meer privilegierter, reicher als „landgestützte“ Globetrotter?

Bielefeld: Das kann ich nicht beantworten, dazu fehlt mir der Vergleich. Wir haben Liveabords jeden Alters und jeder Nationalität kennengelernt. Da waren beispielsweise Ken und Maureen, Amerikaner, 80 Jahre, fit und bester Dinge. Mit ihrem zehn Meter langen Schiff fahren sie seit 15 Jahren übers Mittelmeer.

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Wir trafen Australier, Franzosen, Italiener, teils mit ganzer Familie an Bord. Die Kinder machen eben Boatschooling. Wir haben Junge und Alte getroffen, deutsche Ehepaare, britische Rentner, die ein Leben lang als Verwaltungsangestellte gearbeitet hatten. Jetzt leben sie auf ihrem Segelboot. Viele vermieten ihre Bleibe an Land – oder haben sie ganz aufgegeben. Und nein: Die meisten haben nicht so viel Geld. Es turnt so ziemlich alles auf den Booten herum, wie im echten Leben.

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WELT: Man ist im Winter also nicht allein in den Häfen?

Bielefeld: Nein, die Häfen werden anders als an Nord- und Ostsee auch nicht geschlossen, weil die meisten Yachten das ganze Jahr über im Wasser bleiben. Es ist im Winter zwar deutlich weniger los in den Häfen, dafür sind aber die Liegegebühren günstiger. Man zahlt nur einen Bruchteil der Sommerpreise. In der Hochsaison, im Juli und August, ist man als Gastlieger für eine 12-Meter-Yacht schnell 100 Euro pro Nacht los. Ich kenne einige Segler, die lassen ihr Boot im Sommer inzwischen liegen und fahren für zwei Monate nach Norden, nach Skandinavien.

WELT: Wegen der Kosten?

Bielefeld: Ja, zum Teil, aber auch wegen der steigenden Temperaturen. Denn es wird wärmer und wärmer am Mittelmeer. Ich war im letzten Sommer vor Mallorca auf zehn Meter Tiefe tauchen, die Wassertemperatur da unten lag bei 30 Grad, selbst in über 35 Meter Tiefe hatte das Wasser noch immer über 20 Grad. Zum Tauchen ist das zwar gefühlt sehr nett, aber irgendwie auch beängstigend.

Meeresbiologen, mit denen ich sprach, sagten, das Mittelmeer habe sich in den letzten Jahren deutlich schneller aufgeheizt als der Rest des Planeten, sechs Monate im Jahr mit bis zu 26 Grad Wassertemperatur seien am Mittelmeer vielerorts das neue Maß. Und die Luft freilich ist noch wärmer; uns wehte letztes Jahr beim Segeln vor der Küste Westsardiniens ein 40 Grad heißer Wind ins Gesicht. Nachts, im Mai! Im Juli und August hatten wir dann dauerhaft 40 Grad, teils deutlich mehr. Es hat sich klimatisch definitiv etwas geändert im Mittelmeerraum.

WELT: Gab es solche Schwankungen und Temperaturausbrüche nach oben und unten nicht schon immer?

Bielefeld: Klar, aber das ändert nichts daran, dass wir jetzt offenbar wieder in einer Phase sind, wo die Winde unberechenbarer und abrupt aufkommende Stürme heftiger werden. Vor Korsika tobte 2021 ein brutales Unwetter, das aus dem Nichts kam. Eine Kaltluftzelle aus Irland hatte sich aufs brütend heiße Mittelmeer verirrt. Dabei kam es zu einer Wetterexplosion wie im Reagenzglas.

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Segler, aber auch Camper an Land erwischten Winde von weit über 100 Knoten; bei 60 Knoten spricht man schon von Orkanstärke. Und obwohl Windvorhersagen und Gewitterprognosen heute zum Glück ziemlich präzise sind und man sich vorab auf verrücktes Wetter einstellen kann, gab es auf Korsika damals Tote.

WELT: Was sind überhaupt die größten Gefahren, auf die man sich als Segler und Taucher im Mittelmeer einstellen muss, locken die steigenden Meerestemperaturen beispielsweise mehr tropische Großfische an?

Bielefeld: Kann sein, wir haben bislang aber noch keinen einzigen gefährlichen Fisch gesehen, auch nicht auf Tauchgängen. Da bin ich oft schon froh, wenn eine harmlose Zahnbrasse vorbeischwimmt.

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WELT: Es heißt, 80 Prozent der Fischbestände im Mittelmeer seien überfischt.

Bielefeld: Ja, und deshalb war ich total fasziniert, als ich mal beim Tauchen vor Sardinien Schwärme mächtiger Blauflossenthunfische sah. Oft passiert das leider nicht mehr. Selbst in den ausgedehnten Meeresschutzzonen rund um die Balearen ist die Situation für Flora und Fauna nicht die beste. Und das heißt für uns Segler, weiter mit gewissen Auflagen leben zu müssen.

WELT: Welche sind das?

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Bielefeld: Es darf nicht überall geankert werden, um die Seegraswiesen, wo ein Drittel aller Spezies im Meer aufwächst, zu schonen. Deshalb fahren Park-Ranger oft mehrmals am Tag durch die Buchten und kontrollieren bei allen ankernden Booten, ob der Anker auch ja im Sand liegt und nicht im Seegras.

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WELT: Und wenn doch?

Bielefeld: Dann müssen die Boote den Anker lichten und anderswo auswerfen; Geldstrafen gibt es meist nur, wenn sich die Eigner weigern oder pöbeln. Die Buchten ganz sperren, was sicher das Beste für die Seegrasfelder wäre, ginge nicht, sagten mir die Ranger. Dafür sei das Urlaubsgeschäft mit den mittlerweile abertausenden Yachten für die Balearen zu wichtig.

Klar, es gibt auch Meereszonen, wo das Ankern nur an einigen wenigen Bojen erlaubt ist. Aber meist sind diese Plätze schon Wochen im Voraus reserviert, beispielsweise die Bojen rund um La Cabrera, 30 Seemeilen von Mallorcas Hauptstadt Palma entfernt. Wer dort trotzdem wild ankert, muss mit hohen Strafen rechnen. La Cabrera ist ein karger, unbewohnter Archipel mit einem Leuchtturm, einer verfallenen Festung und ein paar Ziegen, und ich kann mir gut vorstellen, dass Cabrera auch darum dem Naturschutz überlassen wird, weil es als touristische Cashcow eher uninteressant ist.

WELT: Das klingt jetzt aber sehr fatalistisch.

Bielefeld: Als wir Mallorca 2022 in der Hochsaison umrundeten, hatten wir tatsächlich das Gefühl, wie an einer Fieberkante entlangzusegeln, an entzündeten Ufern. Denn kaum ein Fleckchen am Meer, kaum ein zugänglicher Felsen, auf dem kein Hotel, keine Villa, kein Feriendomizil steht.

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WELT: Wo im Mittelmeer finden Segler noch Postkartenstrände?

Bielefeld: Total einsame Robinson-Eilande zu finden, wird schwer, doch wunderschöne Buchten ohne Massentourismus gibt es noch immer viele, vor allem rund um Sardinien, an den Küsten Korsikas und sogar im La-Maddalena-Archipel.

WELT: Aber sind das nicht mittlerweile auch die angesagten Reviere des mediterranen Jetsets?

Bielefeld: Im Hochsommer mag das sein. Doch ab September leeren sich die Gestade, Meer und Luft sind noch warm, die Massen aber verschwunden. Wer denn unbedingt in der Hauptsaison weit abgelegen von allen gängigen Seglerrevieren ankern will, sollte Pantelleria ansteuern.

Das ist eine kleine Vulkaninsel südlich von Westsizilien. Dort scheint die Welt über und unter Wasser noch in Ordnung zu sein. Als wir dort waren, sahen wir mehr Fischerboote, als es Liegeplätze im Hafen gibt. Aber selbst diese weit abgelegene Insel nahe der afrikanischen Küste ist im Begriff, ihre Authentizität zu verlieren. Giorgio Armani hat auf Pantelleria ein Anwesen, und wo er ist, wollen meist auch andere sein.

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WELT: Dass Sie dabei an die Hautevolee denken und nicht an Boatpeople, ist klar, dennoch die Frage: Was sehen die aktuellen Bestimmungen vor, wenn Segler im Mittelmeer auf Flüchtlinge treffen?

Bielefeld: Bestimmungen gibt es in dem Sinne nicht. Man sollte als Yachtsegler sofort den Behörden Bescheid geben. Auf See heißt das: einen Funkspruch absetzen und die Berufsschifffahrt informieren, die dann wiederum die sogenannten Seenotleitstellen (MRCC) alarmiert. Ist das Flüchtlingsboot manövrierunfähig, sollte man in der Nähe bleiben und warten, bis ein geeigneteres Schiff als eine kleine Yacht zu Hilfe kommt. Sind Menschen in Lebensgefahr, muss man helfen, so gut man kann. Dazu verpflichtet eine alte Tradition auf dem Meer: die sogenannte Seemannschaft.

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Marc Bielefeld arbeitet seit 25 Jahren als Journalist für renommierte Tageszeitungen, schreibt regelmäßig für nautische Publikationen und ist Autor mehrerer Bücher über das Segeln wie „Wer Meer hat, braucht weniger“ und „Gebrauchsanweisung fürs Segeln“. Sein Buch „Noch einmal Paradies. Ein Segelabenteuer zu den Grenzen unserer Freiheit“ ist gerade im Piper Verlag erschienen, es hat 256 Seiten und kostet 22 Euro.

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Author: Jerrold Considine

Last Updated: 05/05/2023

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